Das richtige Benzin getankt?
Ein Marktbericht von Arndt Kümpel
Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit der Dow Jones Industrial in den USA seine Tiefstände vom Weihnachtstag 2018 ausgebügelt hat. Ähnliches gilt, wenn auch in geringerem Ausmaß, für den S&P 500 und den Technologieindex Nasdaq 100.
Ein näherer Blick auf den vor allem für Investoren außerhalb der USA relevanten Dow Jones Industrial Average lohnt alleine schon deswegen, weil der deutliche Wiederanstieg weder auf explodierende Gewinnaussichten, eine historisch niedrige Bewertung noch strukturelle Verbesserungen der Fundamentaldaten oder regulatorischen Rückenwind zurückzuführen ist. Wir sehen also eine Rally, die nicht wegen, sondern trotz wenig berauschender Gewinnzahlen und sich zum Teil deutlich verschlechternder makroökonomischer Fundamentaldaten in den USA, Europa und China entsteht. Von einem weiter schwelendem Budgetstreit in den USA ganz zu schweigen.
Doch woran könnte es gelegen haben? Zum einen haben die Notenbanken nach ihrer Drehung um 180 Grad im Dezember teilweise mit massiver Liquiditätszufuhr wie im Falle Chinas als auch mit einer Massage der Anlegerseele a la ,,Forward Guidance‘‘ wie in den USA und dem Euroraum dem Markt eine hohe Dosis Valium verabreicht. In den USA kam diese Drehung wohl nicht ganz freiwillig, wenn man sich an die Äußerungen von US-Präsident Trump an die Adresse von Notenbankchef Powell erinnert. Dabei unterstellte er der FED, kein Gefühl für den Markt zu haben. Wie stark der Druck war, belegt auch, das US-Finanzminister Mnuchin am Sonntag vor Weihnachten mit den Chefs der 6 US-Großbanken JP Morgan, Goldman Sachs, Bank of America, Morgan Stanley, Wells Fargo und Citigroup sprach und sich versichern lies, dass diese weiterhin in der Lage seien, Kredite zu vergeben und die Liquidität im Markt sicherzustellen. Am 24.12.2018 berief er dann noch die Arbeitsgruppe des US-Präsidenten für die Finanzmärkte, auch Plunge Protection Team genannt, ein, was nicht wirklich zur Beruhigung der Märkte beitrug, sondern zu ihren Korrekturtiefstständen.
Danach kam sie aber, die ziemlich reale Geisterhand der Märkte. Erster Effekt: Die Finanzmärkte blieben nach dem Schock des Bruches der seit 2016 bestehenden Aufwärtstrendlinie bei DJIA, S&P 500 und Nasdaq Anfang Oktober 2018 relativ schmerzfrei. Eine sich selbstverstärkende Abwärtsspirale wurde durch die Drehung der Notenbanken fürs Erste erfolgreich abgewendet.
Woher kam aber der Treibstoff für diese eindrucksvolle Aktienrally? Zum einen haben anhaltende Aktienrückkaufprogramme der Unternehmen dazu beigetragen. Wesentlich ist ebenso die seit dem Weihnachtstag regelrecht abstürzende Schwankungsintensität. Der Volatilitätsindex auf den S&P 500, der VIX, erreichte in der Woche vor Weihnachten mit einem Schlusskurs von 30,11 Punkten seinen höchsten Wochenschluss seit dem November 2011. Seither fiel der VIX 9 Wochen lang mit immer neuen Wochentiefs auf Schlusskursbasis weiter und beendete die zehnte Woche nur knapp darüber mit einem Stand von 13,57 Punkten.
Warum sollte das aber relevant sein? Es sei nur angemerkt, dass es so eine lange Phase immer neuer Wochentiefs seit 1990 nicht gab! Deshalb sollte man sich die außerordentliche Wirkung auf die Marktstimmung und damit das Sentiment in Erinnerung rufen. Eine bedeutende Rolle spielen jene Anlagestrategien, die die Marktvolatilität wie den VIX als Input-Variable nutzen, wie etwa CTA (Commodity Trading Advisors) und RP (Risk Parity)-Funds. Diese Anlagevehikel kehrten im Zuge der historisch schnellen und deutlichen Verringerung der Volatilität im VIX-Index zeitlich verschoben, aber im Ergebnis erneut in den Markt zurück, insbesondere jene auf der Basis von Risikoparität. In Reaktion auf die stark zurückgehende Volatilität haben die meisten Risk Parity Fonds ihren Nettoverschuldungsgrad von rund 50 % Anfang Januar auf inzwischen rund 100 % erhöht. Die betreffenden RP-Fonds tendieren dazu, neues Long-Exposure in einer Vielzahl von Anlageprodukten aufzunehmen, auch bei derivativen Instrumenten, um ihr Zielrisikoniveau zu erreichen.
Inzwischen sind die Effekte extrem niedriger Volatilität durch den breiten Markt gesickert und haben zu dem erwähnten Niveaueffekt bei den Indizes geführt. Jedoch: Der Dow Jones Industrial ist zwar sehr weit gelaufen, hat aber zwei bedeutende Widerstände noch nicht überwunden. Er hat zwar die Kurse von Anfang Dezember 2018 wieder überschritten, jedoch nicht jene Kurse erreicht, die die Mustervermutung für ein mögliches Doppeltop des DJIA entwerten würden, welches sich möglicherweise im Januar und September 2018 gebildet haben könnte. Ein Überwinden der Marke von ca. 26.400 Punkten wäre ein wichtiger Schritt, das Überwinden des Allzeithochs von 26.828,39 Punkten vom 03.10.2018 ein weiterer. Bis dahin steht auch noch der schon erwähnte wichtige dynamische Widerstand im Raum, nämlich jener des seit Anfang November 2016 laufenden Aufwärtstrends. Der DJIA erreichte diesen dynamischen Widerstand am 25.02.2019 und prallte zunächst ab. Es ist davon auszugehen, dass die kleinere Nackenlinie des vermuteten Doppeltops bei 26.400 Punkten und der dynamische Widerstand des Aufwärtstrends, der aktuell bei ca. 26.350 Punkten verläuft, einen massiven Kreuzwiderstand für den Dow Jones Industrial darstellen, welcher nicht beim ersten Anlauf überwunden wird.
Fazit: Die charttechnischen Wunden der führenden US-Aktienindizes, allen voran des Dow Jones Industrial, sind gut verbunden worden, jedoch noch nicht verheilt. Der auf der Basis einer Änderung der Kommunikationsstrategie der Notenbanken und neuer Liquidität entstandene Aufschwung hat das selbstreferentielle, insbesondere auf einem Szenario niedriger Volatilität basierende Sentiment der Anleger zu optimistisch werden lassen. Die charttechnische Lage des DJIA mahnt ebenso zur Vorsicht, wenngleich weitere Impulse zu einem Weiterlaufen der Aufwärtsbewegung ohne vorherige Konsolidierung der seit Weihnachten 2018 aufgelaufenen Gewinne führen können. Das wahrscheinlichere Szenario ist jedoch, dass der Markt erst einmal ausatmet. Dann wird sich zeigen, wie nachhaltig die Bewegung der letzten 10 Wochen war und ob das ,,richtige Benzin‘‘ getankt wurde.
03.03.2019 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de
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