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Ökonomischer Bodennebel

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

In den letzten Tagen passierte an den US-Märkten etwas aus der Sicht der Effizienzmarkthypothese Seltsames: Die Aktienmärkte stiegen weiter an, getragen vom guten alten Technologiesektor, dem Zugpferd des inzwischen längsten Börsenaufschwungs in der Geschichte des US-Aktienmarktes. Dass dies kaum an den Gewinnschätzungen liegen kann, macht ein Blick auf eben diese klar. Die Herde der Momentum-Investoren hat zwar das Ihrige beigetragen und fleißig selbstreferenzielles Momentum generiert. Der starke Anstieg seit dem Weihnachtstag 2018 ist aber einer der stärksten mit der relativ schwächsten Liquidität. Man kann sich deshalb des Eindruckes nicht erwehren, dass sich die Aktienmärkte von der rauer werdenden Realität sinkender Gewinne abgekoppelt haben.

 

Zurück zum Seltsamen: Was war aber bei diesem Anstieg nur mit den Anleihemärkten los? Wenn die Wirtschaft läuft, müssten die Zinsen steigen. Nachdem das Narrativ der US-Notenbank im Oktober 2018 arge Kratzer bekam und diese im Dezember angesichts der abschmierenden Aktienmärkte den Rückwärtsgang bei der Erwartungssteuerung zukünftiger Zinserhöhungen einlegte, erscheint die aktuelle Konstellation zwischen US-Aktien und US-Staatsanleihen verwirrend. Denn sein gut 2 Jahren entwickelten sich der S&P 500 Aktienindex und die zweijährige US-Staatsanleihe im Gleichschritt – auch im Sell-off vor Weihnachten 2018. Ab dem 04.12.2018 fiel die Rendite der Anleihe von 2,8 % auf 2,39 % bis Weihnachten 2018, während der S&P 500 von 2782 Punkten auf 2351 Punkte und damit um 15,5 % sank.

 

Seither hat der S&P 500 alle Verluste wieder aufgeholt, während die Rendite der zweijährigen US-Staatsanleihe bei aktuell 2,45 % steht. Wer also hat recht? Schaut man in die Historie der Trefferquoten von Aktien und Anleihen, so braucht man nicht lange zu suchen. Die Anleihemärkte schätzen die Konjunkturtrends deutlich besser ein als die Aktienmärkte. Die zehnjährige und dreißigjährige US-Staatsanleihe bestätigen im Übrigen das Signal ihrer zweijährigen Schwester.

Ja, klar: Aktienrückkäufe, zumal jene, die mit nur dafür aufgenommenen billigen Krediten finanziert sind, stellen einen relativ unabhängigen Faktor steigender Aktienkurse dar. Allerdings ist dies eben noch kein Grund, diese Aktien zu kaufen. Diese sind ja dadurch vor allem kosmetisch billiger, weil der Gewinn je Aktie nicht aus dem operativen Geschäft kommt, sondern an der Verteilung des Gewinns auf eine geringere Anzahl an Aktien. Nimmt man das aus einer stark sinkenden Volatilität (VIX) generierte Kaufpotenzial momentumgetriebener Anlagestrategien - wie zuletzt bereits beschrieben – hinzu, so schafft sich der Aktienmarkt aus sich selbst heraus seine eigene Party! Es braucht weder reale Gewinne noch wirkliche Liquidität.

 

Und weil man die anscheinend nicht mehr braucht, kann FED-Chef Powell auch verkündigen, dass in den USA eigentlich alles in Butter ist. Denn genau dies war die Botschaft des Interviews ,,60 Minutes‘‘, welches er am 05.03.2019 gab. Tenor: Ja, es gibt 7 Millionen US-Bürger im besten Erwerbsalter, die nicht nach Jobs suchen. Und ja, das Produktivitätswachstum ist ebenso gesunken wie die Fertilitätsrate, was beides als langfristig wirkender Ballast zukünftigen Wachstums wirkt. Aber am Ende sieht der FED-Chef keinen Grund, warum der Geschäftszyklus nicht auch noch Jahre weiterlaufen kann, ohne in die Rezession abzudriften. Diesmal ist ja schließlich wieder mal ,,alles anders‘‘!

Die Anleihemärkte werden es vernommen haben, sich aber mit Goethes Faust sagen: ,,Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube‘‘.

 

Während die Anleihemärkte derzeit zu Faust neigen, wird die Botschaft von Jerome Powell offensichtlich zumindest vom Aktienmarkt gern gehört. Ob dieser seiner selbst gestrickten Fata Morgana erliegt, wird sich weisen. Jedoch: Bei Bodennebel, und insbesondere bei ökonomischem, sollte man bezüglich der Gewinndynamik der Einzelwerte, der Nachhaltigkeit der Kreditwürdigkeit großer Teile der Anleihemärkte als auch mit Blick auf das erwartete Liquiditätsniveau der Märkte in Stressphasen mit Überraschungen rechnen.

 

Es sage keiner, die gerade ablaufenden Prozesse lägen hinter seinem Ereignishorizont. Für die Selbsttäuschung des Marktes hat die Verhaltensökonomik quantifizierbare Begriffe, welche die anfangs erwähnte Effizienzmarkthypothese selbst in ihrer schwachen Form unter Dauerbeschuss nehmen. Ob die in der selektiven Information und der Art ihrer Erhebung sichtbar werdende Nutzung der Verfügbarkeitsheuristik durch Medien, oder auch der individuelle Überoptimismus bezüglich der Möglichkeit, Schocks auf das Portfolio abzuwehren - wer sucht, der findet. Und auch zu den direkten Interventionen der Zentralbanken hat die Institutionenökonomik einiges zu sagen. Wer will, muss also nicht im Bodennebel stehen bleiben.

Fazit: Das windstille Auge des Orkans ist eben nicht zuerst windstill, sondern zuerst einmal der historisch kurze Augenblick zwischen zwei Extremereignissen. Das würde wahrscheinlich auch Faust unterschreiben, Jerome Powell wohl aber erst nach Ablauf seiner Amtszeit.

 

14.03.2019 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de

 

 

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