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China zwischen Baum und Borke

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

Der Wind weht zunehmend rauer auf der Kommandobrücke Chinas. Denn das Wachstumstempo der chinesischen Wirtschaft betrug im 4. Quartal 2018 nur noch 6,4 % und lag damit so niedrig wie seit 28 Jahren nicht mehr. Zwar wurde im Gesamtjahr 2018 mit 6,6 % die Vorgabe der Staatsführung von 6,5 % knapp überboten. Die Abwärtsdynamik im 4. Quartal relativierte diese statische Zielerreichung jedoch deutlich, und das liegt nicht nur an den Auswirkungen des Handelskonfliktes mit den USA!

 

Denn die wachsende Unsicherheit über die Zukunft des exportgetriebenen Wachstumsmodell Chinas und seine Wandlung hin zu einem mehr konsumgetriebenen lassen die Zuversicht der chinesischen Konsumenten, aber auch der Unternehmen sinken. Und auch die Bremseffekte der stark gestiegenen Verschuldung machen sich inzwischen bemerkbar. Zudem fiel seit Mitte Dezember 2018 der Baltic Dry Index um ca. 17 % mit niedrigeren Frachtraten über alle Schiffstypen und das, obwohl die Kapazitäten zum Beispiel für Schüttgut deutlich zurückgingen. Dies ist nicht irgendein Indikator, denn die Eisenerzimporte Chinas gingen in den drei Monaten bis Ende November 2018 um 3,2 % zurück und geben damit ein weitergehendes Warnsignal für die Rohstoffnachfrage Chinas insgesamt.

 

Monetär sieht es nicht besser aus. Der Kreditimpuls Chinas erreichte zuletzt ein neues Zyklustief und bewegt sich auf dem Niveau des Jahres 2011. In der letzten Woche führte die chinesische Zentralbank über Repo-Geschäfte dem Markt netto 1,14 Billionen Yuan bzw. rund 150 Mrd. Euro Liquidität zu, was dies zur größten Liquiditätsspritze in der Geschichte der Notenbank gemacht haben könnte. Zwar begründete die Zentralbank Chinas mit Steuerfälligkeiten und dem Liquiditätsbedarf zum chinesischen Neujahr. Eine andere Interpretation ist jedoch viel überzeugender: Die Produktions- und Handelszahlen Chinas haben den Staat veranlasst, einer Liquiditäts- und Kreditklemme vorzubeugen. Zuvor hatte die Zentralbank bereits die Mindestreservesätze für Geschäftsbanken mehrfach gesenkt.

 

Auf industrieller Ebene sind die Zeichen bereits deutlich zu sehen: Die Vollbremsung im chinesischen Automarkt und der Rückgang bei Haushaltsgeräten werden komplementiert von Gewinnwarnungen entlang der telekommunikativen Wertschöpfungskette. Taiwan Semiconductor und die japanische Nidec Corp. als große Apple-Zulieferer bis hin zu Apple und Samsung selbst gaben zuletzt operative Warnschüsse ab. Alle hatten das Ausmaß der aktuellen Schwäche nicht vorausgesehen und verkündeten Gewinnwarnungen. Der chinesische PMI-Einkaufsmanagerindex ist unter 50 % und damit in die Kontraktionszone gefallen, die Unternehmen verschieben bereits Neueinstellungen und die Löhne wachsen deutlich langsamer.

 

Um die Konjunkturschwäche aufzufangen, greift China zu den schon früher angewandten Mitteln. So wurden neben der Bereitstellung kurzfristiger Liquidität Steuersenkungen für Haushalte und kleine und mittlere Unternehmen angekündigt. Jetzt entdeckt man anscheinend wirtschaftspolitisch das eigentliche Rückgrat der Wirtschaft neu, dass zudem die Mehrheit der Arbeitsplätze sichert. Die lokalen Behörden sollen mehr Verschuldungsspielraum erhalten, um durch die Ausgabe von Anleihen gesamtwirtschaftlich wichtige Projekte zu finanzieren. Zudem will der Staat mit Neuinvestitionen in Infrastruktur, vor allem in das Bahnnetz, das Wachstum stärken und Arbeitsplätze sichern. Und auch die Eindämmung der massiven Verschuldung wird einstweilen warten müssen, obwohl die Gesamtverschuldung des Landes Ende 2017 bei über 260 % des Bruttoinlandsprodukts lag und damit mehr als viermal so hoch war wie 10 Jahre zuvor!

 

Ob all die angekündigten Maßnahmen rechtzeitig wirken, um einen signifikanten Rückgang des Wachstums zu verhindern, wird abzuwarten sein. Ebenso die Erreichung des erklärten Zieles von Premier Li Keqiang, das Vertrauen der Konsumenten und Unternehmen in den Markt zu stärken. Damit meint er unter anderem ein faires Geschäftsumfeld und bessere Finanzierungsbedingungen gerade für KMU’s, nur: Das ist nicht neu, wird von ausländischen Firmen seit Jahrzehnten angemahnt und ist bis heute nicht umgesetzt. Ob vor diesem Hintergrund von den angekündigten Maßnahmen ein hinreichender Stabilisierungsimpuls ausgeht, wird man genau beobachten, zumal die hohe Verschuldung weiterhin nur durch anhaltendes Wachstum getragen werden kann. Und ob die Geschäftsbanken den kleineren Unternehmen wirklich neue Kredite zur Verfügung stellen, denn eine Kreditkrise würde diese Maßnahmen konterkarieren.

 

Ein viel grundlegenderes Problem Chinas wird dabei noch gar nicht angegangen, obwohl seine Lösung möglicherweise eine notwendige Bedingung für den nachhaltigen Erfolg Chinas ist: Der Widerspruch zwischen der wachsenden staatlichen Kontrolle der Privatwirtschaft und der Notwendigkeit, ein dezentrales und verbrauchergetriebenes Wirtschaftssystem aufzubauen, welches wirklich nachhaltiges Wachstum generiert und ohne Freiheit nicht funktioniert. Ob der Nationaler Volkskongress im März 2019 solch dicke Bretter bohren will, darf bezweifelt werden.

 

Fazit: Das Wirtschaftsmodell Chinas und die Wirtschaftspolitik der herrschenden kommunistischen Partei stehen im Kontext des weltweiten synchronen Abschwungs vor einem neuen Stresstest. Zentrale Leitung und Planung der Volkswirtschaft einerseits und die objektiven Stabilitätsbedingungen komplexer selbststeuernder Systeme andererseits schaffen jenen gordischen Knoten, der anders als bei Alexander dem Großen, nicht einfach durchzuhauen ist. Damit dürfte das Management kommender Turbulenzen mehr sein als die Aufrechterhaltung der Kontrollillusion. Inkohärente Politik nagt auf Dauer an jenem generalisierten Vertrauen, das die Basis des impliziten Vertrages der chinesischen Staatsführung mit der Bevölkerung Chinas ist, die nur mit der Perspektive auf ein spürbar besseres Leben zentralistisch regierbar bleiben wird und dabei auf große Teile ihrer individuellen Freiheit vorerst verzichtet.

 

21.01.2019 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de

 

 

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