Reflexive Erwartungssteuerung
Ein Marktbericht von Arndt Kümpel
Die gestrige Rede von US-Notenbankchef Jerome Powell war in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen reichten die beiden Worte ,,just below‘‘, um die nervösen Markterwartungen zukünftiger Zinserhöhungen durch das FED zu beruhigen. Die Märkte interpretierten diese Wortwahl als Indiz dafür, dass das Ende der Zinserhöhungen bevorsteht, denn ein ,,knapp unter‘‘ dem neutralen Zins liegendes Zinsniveau der FED-Funds suggeriert kaum deutliche Zinserhöhungen in der Zukunft.
Noch vergangenen Monat hatte Powell jedoch betont, dass das FED weit von einem neutralen Zinsniveau entfernt sei, was als Hinweis auf stetige weitere Anhebungen der FED-Funds Rate interpretiert wurde und Sorgen der Investoren vergrößerte, dass zu weitgehende Zinserhöhungen das Wachstum und damit die Kreditnachfrage und die Gewinndynamik abwürgen könnten.
Zum Zweiten glänzte der FED-Chef in der Rede mit dem demütigen Eingeständnis, dass die Notenbankpolitik einer Gratwanderung gleicht und sich die Dinge oft anders entwickeln, als selbst in den sorgfältigsten Vorhersagen prognostiziert. Die im Kommentar vom 22.11.2018 erwähnte Fehleranfälligkeit der Geldpolitik wie auch die auf tönernen Füßen stehende Markteffizienzhypothese als Selbstvergewisserung der Märkte machen deshalb im Lichte der gestrigen Rede von FED-Chef Powell und der darauffolgenden Reaktion deutlich, dass die Hauptstraße der Märkte in dichter werdendem Nebel liegt.
Diesen Nebel thematisierte Powell auch im weiteren Verlauf seiner Rede. Er verwies dabei auf die Unterscheidung von Schocks und Verwundbarkeiten. Schocks seien auslösende Ereignisse, die kaum vorauszusehen oder zu beeinflussen seien, und Verwundbarkeiten seien Eigenschaften des Finanzsystems, diese Schocks zu verstärken. Er betonte dabei, dass die Notenbank derzeit nicht in der Lage sei zu erkennen, wann diese Risiken und Verwundbarkeiten zu einer Bedrohung für die Kapitalmärkte werden. Zu den vier Verwundbarkeiten zählt Powell dabei deutlich erhöhte Kredithebel von Investitionen, das Refinanzierungsrisiko, eine exzessive Verschuldung und historisch sehr hoch bewertete Vermögensanlagen.
Dieses Risiko-Suchraster der Notenbank zeigt allerdings auch das Risiko auf, dass sowohl die Notenbank als auch die Kapitalmärkte das aufeinander bezogene Verhalten falsch einschätzen könnten, zumal die Risikotoleranz bzw. Pufferkapazität für das Marktrisiko bei weiterhin historisch extrem niedrigen Zinsen ebenfalls deutlich verringert ist.
Hinzu kommt die Nebelkanone ,,Schocks‘‘. Stabilisierende reflexive Erwartungssteuerung sieht anders aus! Es könnte deshalb möglich und genauso gut sein, dass die Märkte die beiden genannten Worte Powells überinterpretiert haben, denn die weiteren Ausführungen in der Rede geben wenig Hinweise auf eine grundsätzlich geänderte Haltung der Notenbank, Kritik von US-Präsident Trump hin oder her.
Es ist deshalb ratsam, den Spruch, dass Vorsicht die Mutter der Porzellankiste sei, mit neuem Leben zu füllen und dementsprechend die Geschwindigkeit (Ertragserwartung und Risikobereitschaft) zu verringern, denn eine hohe Geschwindigkeit bedeutet einen hohen potenziellen Verlust bei Irrtum. Heißt: Risk off, Liquidität erhöhen, Währungsanteile entsprechend der institutionellen Money Flows optimieren sowie Politik- und Gegenparteienrisiko minimieren.
Fazit: Wie in jedem guten Gespräch gibt es auch an den Märkten Zeiten zum Reden und Zeiten zum Zuhören. Wenn das, was gesagt wird, zunehmend divergiert und sich eine Kaskade gegenseitig zunehmender Verunsicherung aufbaut, sollte man sich an den fundamentalen Geltungsvorbehalt der eigenen Interpretationskompetenz erinnern und den Fuß vom Gas nehmen. Erst recht dann, wenn internationale Veto-Akteure nur noch geringe Spielräume für kooperative Problemlösungen sehen, beschleunigt aufrüsten und zunehmend Konflikte brodeln, die das Zeug haben, ein großes Loch in die Autobahn zu reißen.
29.11.2018 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de
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